Das Christentum

Von den Anfängen bis zur Reichskirche – ausgewählte rudimentäre Blickpunkte

Als in der Zeit zwischen 7. v.Chr. bis 4. v. Chr. in der römischen Provinz Palästina in den Bergen am Fusse des Sees Genezareth im kleinen Nest Nazareth Jesus geboren wurde, ahnte wohl kein Mensch, dass von diesem Mann eine Strahlkraft ausgehen sollte, die zu einer neuen Weltreligion führen sollte. Unscheinbar war seine erste Lebensphase, erst gegen Ende zwanzig trat dieser Jesus öffentlich auf, predigte und hatte wohl eine Ausstrahlung, die Menschen faszinierte. Genaueres weiss man nicht. Um das Jahr 32 n. Chr. war die politisch-gesellschaftliche Stimmung in der Stadt Jerusalem mit seinem wirtschaftlich-politischen-sakralen Kultzentrums einmal mehr fiebrig. Aufruhr lag in der Luft. Kein Wunder also, dass dieser Jesu, der sich anlässlich der grossen Wallfahrt in Jerusalem befand, unter Beobachtung der römischen Staatsmacht geriet. Und kein Wunder, dass er von ihnen verhaftet wurde und in einem – kollektiven Schauprozess? – zum Tode verurteilt wurde. Damit wäre die Sache erledigt gewesen. Wenn nicht nach diesem Ereignis Frauen behauptet hätten, ihnen wäre dieser Jesu in nichtmenschlicher Art begegnet. Nur Halluzinationen? Einbildung, weil sie es nicht wahrhaben wollten, dass ihr Idol gestorben ist und er die Herrschaft Gottes nicht eingerichtet hat?

Ein Phänomen bleibt. Diese Behauptung, Jesus lebt, führte zu mehr. Anhänger Jesu bekamen wieder Hoffnung. Die Sache der Erneuerung schien nicht vorbei. Einer war ganz besonders davon angetan: Jakobus, ein militanter Anhänger, blieb in Jerusalem und scharte Gleichgesinnte um sich. Die jüdische Religion mit dem Auferstehungsglauben zu feiern und zu leben – das war es. Innerhalb des jüdischen Jerusalemer Establishment vielen sie bald auf, aber man liess sie gewähren. Innerhalb der jüdisch-christlichen Bewegung nahmen sie die Deutungshoheit an sich. Als dann aber der Jerusalemer Tempel im Jahr 70 n. Chr. von den Römern selbst zerstört wurde, floh die Jakobusgruppe nach Pella in Syrien– ihr Spur hat sich aber bald verloren.

Ganz anders Petrus. Er floh nach den Ereignissen mit seinen Gefolgsleuten ins galiläische Hochland und predigte dort von den Ereignissen in Jerusalem vom Tod und Glauben an die Auferstehung Jesu. Er wurde zum Guru.

Und bald traten sie auf: Die Seher, Propheten, Lehrer, Verkünder, die innerhalb von einer Generation in den Städten der antiken Welt rund ums Mittelmehr von diesem neuen Glauben erzählten. Und es gab viele, kennen tut man nur wenige. Einer sollte der Bekannteste werden. Paulus, ein Mann aus Tarsus (heute Südost-Türkei). Er war selbst Jude, stand aber nicht in Verbindung mit dem jüdischen Kultzentrum in Jerusalem, sondern stammte aus dem Umfeld des pharisäischen Schrift Judentum. Seine Missionen sind bekannt, in der Wissenschaft besteht ein enormer Corpus an theologischen-kontextuellen Forschungen über diesen Mann.

Eine Zeit, in der sich dieses Christentum aus dem Judentum emanzipierte, dies im gegenseitigen Willen zur Trennung. Aber das wäre eine eigene Darstellung wert.

Warum wurde gerade dieser Glaube an die Auferstehung eines so unscheinbaren Mannes wie Jesus zu einer Weltreligion? – diese Frage kann kaum abschliessend beantwortet werden. Einige Motoren dazu?

Im Apostelkonzil, Mitte der 40-er Jahre, setzten sich die Überzeugungen, wie sie Paulus vertrat, gegenüber jenen des Jakobus durch. Paulus wollte die Öffnung gegenüber der heidnischen Welt, Jakobs wollte das Judentum reformieren. Petrus schien dabei der Hin- und Hergerissene zu sein. Aber letztendlich setzte sich die Linie Paulus durch. Damit standen die Türen zur Welt offen.

Und weiter: Der neue Glaube schien eine Antwort auf die Sinnfragen der Zeit zu geben. Es wirkten die karitativen Bemühungen der ersten Christen auf ihr Umfeld faszinierend und es schien ein Umgang mit der sichtbaren Ungerechtigkeit der sozialen Strukturen der Gesellschaft gefunden worden zu sein. Die in die Krise geratene griechische Philosophie erhielt neue «intellektuelle Nahrung». Der Umgang mit dem antiken Götterglaube war mehr Persiflage als echte Akzeptanz und deshalb ein neuer Gottglauben willkommen. Die christlichen Vereine waren zugänglich für alle Menschen, egal ob Jude oder Heide. Und: Diese mussten organisiert werden: Die Geburtsstunde des Amtes.

In dieser ersten Zeit zwischen der Auferstehungserfahrung bis ca. 150 n. Chr. sind nach den Schriften des Paulus und der Anhänger von Paulus, weitere Schriften entstanden, welche sich in narrativer Weise der Frage stellten, wer und was denn dieser Jesus sei. Ihre Hermeneutik war klar. Die Verfasser der Schriften glauben an die Auferstehung und interpretierten aus dieser Haltung heraus das Leben Jesus oder zumindest, was sie davon gehört haben. Entstanden sind so die Evangelien – heute kennen wir deren vier. Keine Biografien, sondern in der Zeit entstandene Glaubensschriften in denen dieser Jesus zu Christus, dem Messias, dem Retter, zum Erlöser wird. Schriften, die damit mehr über die Vorstellung der Verfasser und deren Glaube aussagen, als über den historischen Jesus. Die Dynamik der Interpretation ist damit gegeben.

Die Erfolgsgeschichte des neuen Glaubens war nicht mehr aufzuhalten. In der Zeit der Grosskirche zwischen 150-300 n. Chr. schätzt man, dass bereits 10%-15% der römischen Bevölkerung der christlichen Weltanschauung angehörten. Ein Stadtphänomen und in Vereinsstrukturen organisiert. Diese glichen den Mysterienvereinen der Zeit.

Um diese christlichen Gemeinden zu verstehen, muss man wohl eher die hellenistische Lebensart in den Blick nehmen, als die jüdische. Es war auch die Zeit, in der von intellektueller Seite her die Kritik an diesen christlichen Gemeinden und ihren Protagonisten Ausbreitung fand. Aus hellenistischer Sicht war es wohl das Dümmste an einen Gott zu Glauben, der sich töten lässt. Und der Vorwurf des damit vorhandenen Atheismus war gross. Und es sollte noch schlimmer kommen: Der Vorwurf der Anthropophagie und des Inzests lag in der Luft. Kein Wunder, dass sich die gebildeten Christen wehrten. In Schriften rechtfertigten sie ihren Glauben und ihr Tun und zwar in der Art der Gegner. Mit griechischer Denkstruktur. Widerstand führt zur Innovation – wohl ein Grundmuster für die griechisch geprägte intellektuelle Neubildung jüdischer Erfahrung. Die Geburtsstunde der christlichen Theologie in der Zeit der Apologetik.

Die partiellen Christenverfolgungen im Winter 249/250 oder 256/257 und dann die grossangelegten Verfolgungen unter Kaiser Diokletian zwischen 284-305 schwächten das Christentum in keiner Weise. Der herrschende sakral überhöhte Kaiserkult sollte das in die wirtschaftlich-militärisch Krise geratene römische Reich retten, in dem der Zwang zum altrömischen Kult wieder eingeführt werden. Verständlich, wenn man davon ausgeht, dass bei richtigem Vollzug des Kultes die Götter einem wohlgefällig sind. Und da mussten alle mitmachen. Auch die Christen. Wer sich weigerte, war Staatsfeind und hatte mit Bestrafung oder dem Tod zu rechnen. Jene Christen, die sich nicht beugten, wurden unter ihres Gleichen zu Märtyrer – die Geburtsstunde der Heiligen. Eine bewegende Geschichte, die zur inneren Stärkung des Christentums führte, obwohl die äussere Eliminierung bei Nichtvollzug des Kaiserkultes gedacht war.

Die äusseren Machtverhältnisse im römischen Reich sollten nach Diokletian schwierig bleiben. Das Machtgerangel um die Kaiserwürde entbrannte einmal mehr und es sollte Konstantin sein, der als Sieger herauskam. Er, der sich im Kampfe dem Gott der Christen anvertraute, bildete die Grundlage für das kommende Staatschristentum. Eine religiöse Bewegung, zwar effizient und gut organisiert, wurde nun unter seinem Nachfolger Theodosius, oder vielleicht doch mehr durch den Einfluss von dessen Mutter Irene?, zur Reichsreligion. Eine Herausforderung. Und die Geburtsstunde der Reichskirche, die sich bis zur französischen Revolution in all ihren Schattierungen, Irrungen und Wirrungen, Innovationen und Entwicklungen halten sollte. Ihr erstes Projekt: Eine Verfassung – in der Zeit im Modus des Glaubensbekenntnisses (Credo) entwickelt. Ordnungsprinzip für die Weiterführung der Gesellschaft als Zivilisation.

Eine spannende, vielfältige Geschichte des Christentums, von den Anfängen bis heute – kulturgründend und zivilisationsbestimmend, mit all den Brüchen, Verfehlungen, Überzeugungen, Innovationen. Sie bildet eine der wichtigsten Wurzeln, die die Gesellschaft bis heute prägt, bewusst und öfter unbewusst. Es lohnt sich, auf Spurensuche zu bleiben und weiter zu gehen.

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