Schauen, um zu sein

Fronleichnam – ein Fest der Gottesrepräsentation

In den Strassen des hochmittelalterlichen Lüttich des 12. Jh. herrschte reger Betrieb. Ein kulturelles Zentrum, schon seit Römerzeit. Handelsbeziehungen in den Norden, Osten, Westen, Süden. Menschen betrieben Geschäfte, heirateten, zeugten Kinder, lebten und liebten, stritten und kämpften.

Und Religion war allgegenwärtig, Teil des menschlichen Lebens, nicht abgespalten, wie heute. Religion war die «Atmosphäre», in der Mann, Frau, Kind, jung und alt, lebte, –  wie für den Fisch das Wasser. Geglaubt hat man Vieles: Sinniges und Unsinniges. Der Glaube der Theologen, getrieben vom Verlagen, Vernunft und Glaube zusammenzubringen, war eben nicht der Glaube des Volkes. Man betete Heilige an, verehrte Reliquien, vollzog Wallfahrten, nicht wenige suchten die Einsamkeit, um das eigene Seelenheil zu retten.

Religion blieb von nun an nicht einfach mehr nur Sache der Klöster, es wurde zum Massenphänomen. Einfachheit und simple Vorstellungen prägte das einfache Volk in den Städten und auf dem Land. Und danebst: Papst und Kaiser stritten um die Macht der Kirche, der Papst obsiegte, war auf dem Höhepunkt seiner Macht. Er wurde zum Stellvertreter Christi. Der Kaiser war entsakralisiert. Gott-Papst-Welt – so hiess von nun an die Devise.

Juliana, die spätere Ordensoberin der Augustiner-Chorfrauen von Mont Cornillon, hatte sie auch: Visionen, die in ihr die Verbindung zwischen ihr und dem Sakrament der Eucharistie erfahren liessen. Die Verbindung zwischen Christus und dem Menschen war zentral, nicht die Mittler der Heiligen sollten im Vordergrund stehen. Und ihr Bischof erkannte die Dynamik dieser Idee, und liess ab 1246 ein eigenes Ideenfest zu Ehren der Eucharistie einführen. Papst Urban IV verfügte in der Bulle «Transiturus» im Jahr 1264 die Verehrung für die ganze westliche Kirche. Ein Ideenfest, welches das Zentrum christlichen Glaubens feierte, als Abwehr gegen allzu simple Vorstellungen der Wirksamkeit der Heiligen, Reliquien und Werkgerechtigkeit. Von späteren Prozessionen und Darstellungen in Monstranzen steht dabei in der Bulle nichts geschrieben.

Städte entwickelten sich, Kaufleute, Banker, Bürger prägten nun die Welt. Vergessen sind sie nicht, die Katastrophen der Pest, der Kriege, des finanziellen Ruins. Aber die Hoffnung und Zuversicht prägte sie, die Welt, 200 Jahre später. Gezählt, gerechnet, kalkuliert wurde – und: die Rechnungen mussten stimmen, die Gewichte waren richtig, die Masse klar. Und das auch in der Religion. 14 Nothelfer, 7 Sakramente, 50 Psalter, Busskatalog und Quittungen gegen Barzahlung für vergangene, gegenwärtige, zukünftige Sünden: Das Himmelreich musste gesichert werden.

Und geschaut werden musste sie auch: Die himmlische Botschaft. Fresken, geschnitzte Altäre, Bilder brachten die Menschen in Beziehung mit Gott, der in Jesus die Welt am Kreuz erlöste. Im Schauen zu Christus. Damit bekam das Ideenfest von Fronleichnam eine erweiterte äussere Form. In Monstranzen und Prozessionen wurde das Zentrum christlichen Glaubens geschaut. Der Leib Christi, der die Welt erlöst.

Zeiten ändern sich, Welten gehen unter, neue entstehen. Im 19. Jahrhundert, in Zeiten neuer liberaler, demokratischer Staatsentwicklungen gerieten die Kirchen  einmal mehr,  – aber eigentlich so wie immer –, in Notstand. Gehandelt musste werden. Und im katholischen Umfeld anlässlich des ersten Vatikanischen Konzils von 1870/71 wurde sie nun verkündet. Die Unfehlbarkeit des Papstes. Konservative Katholiken nördlich des Gotthards in Schweizer Landen spürten zwei Seelen in der Brust: Schweizer Staat und Rom. Die liberalen Katholiken sahen es schon anders. Rom blieb ganz weit weg. Aber der Druck von aussen, den liberalen reformierten Zürchern, Baslern und Berner liess die katholischen Reihen schliessen – der konservative Flügel obsiegte dabei. Und Fronleichnam? Das Fest wurde hierzulande zur öffentlichen Manifestation katholischer Weltanschauung. Zeigen wollte man sie, öffentlich und standhaft.

Und heute? Das zweite Vatikanische Konzil in den sechziger Jahren böte die Grundlage zur Weiterentwicklung. Die römisch-katholische Kirche öffnet sich der Welt, die Welt und sie sind keine Gegensätze mehr, diese Kirche ist Teil der Welt. Braucht es noch Fronleichnams-Manifestationen? Tradition – sagen die einen. Theater ohne Bedeutung – sagen die anderen.  Wenn die Tradition aber dazu führen kann, dass sie als Wurzel verstanden wird, die Neues ermöglicht, ja dann ist es sinnvoll und notwendig, Fronleichnam als ein Ideenfest mit der Frage nach dem Wesentlichen für die Welt und den Menschen zu feiern.

Was ist es denn dieses «Wesentliche»? In der Theologie stellt sich die Frage: Ist es die Freiheit, sich zu Gott hin zu entwickeln, oder die Freiheit, sich einem Gottesersatz hinzugeben?

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